12. April 2013

Das verlorene Notizbuch

Es muss aus einer kleinen Öffnung, einem nicht ganz geschlossenen Reißverschluss meines Rucksacks herausgefallen sein. Das kleine Notizbuch, fast voll geschrieben.  Nur noch ein gutes Dutzend Seiten waren frei. Es lag immer neben mir auf der Couch, neben dem Radiowecker, auf dem Schreibtisch oder in der Jackentasche. Kurze Notizen, aufgeschnappte Zitate, Gedankensplitter.

Die wichtigsten Inhalte wurden eh immer direkt transponiert. Sie wurden eingebaut, in die vielschichtigen Texte, an denen ein Autor ja ständig arbeitet. Oder sie wurden als Anekdote, als Aphorismus im elektronischen Tagebuch abgelegt.

Jetzt hat vielleicht jemand dieses Notizbuch gefunden. Und meine größte Befürchtung: wenn das jemand findet und aus meinen Gedanken etwas bessere macht, als ich selbst. 

Oder, ganz banal und naheliegend (das Banale liegt immer sehr nahe, falls Sie das noch nicht gemerkt haben sollten): in welches Notizbuch schreibt man die Anekdote eines verlorenen Notizbuches? Wo ist die Henne, die das Ei gelegt hat, welches sich der Frage entzog, ob es sogar vor der Henne da gewesen ist?

"Dagewesen" - man sollte dies als neues Substantiv einführen. Das Dagewesen als Sammelsurium dessen, was ist und dessen Herkunft oder dessen Verschwinden im gleichen Maße unbestimmt ist.

Als es an der Tür klingelte und der ehrliche Finder das Notizbuch abgeben wollte, war ich selbst in einem Dagewesen. Ich bin nicht da gewesen. Und da war es wieder. Im Briefkasten. Ich bin ein DageWESEN.

Da.

In den Zeilen des Notizbuches.

Da bin ich gewesen.


Überall.