16. März 2013

Ian McEwan - Am Strand. Rezension.

Ganz nüchtern betrachtet könnte man sagen: Endlich mal eine Liebesgeschichte ohne Happy End. Man hofft ja immer auf ein Happy End. Bei dieser Geschichte wäre diese Lösung aber zu einfach, ja geradezu dämlich gewesen.

 Die Geschichte spielt in England, Mitte der 60er Jahre. Edward und Florence, beide furchtbar ineinander verliebt, verbringen in einem Hotel an einem Strand das Abendessen ihres Hochzeitstages. Das Miteinander der beiden wird in vielen Rückblicken von McEwan detailliert dargestellt. McEwan spielt mit den üblichen Klischees, mit den tiefen, komplizierten Hinwendungen von Menschen zueinander, die eigentlich die Menschen auseinander führen. Florence gehört noch, standesgemäß, zu den Frauen, die sich für ihren Mann aufzusparen haben. So fiebert Edward der Hochzeitsnacht entgegen.

 Wer nun die prüde Frau und den völlig triebgesteuerten Mann erwartet hat … Recht. Und auch wieder nicht. McEwan spart diese Klischees nicht aus - im Gegenteil. Entscheidend sind aber die Gegensätze der beiden. Sie lieben sich nicht nur wegen ihrer Erwartungen füreinander, sondern auch für die tiefen Gegensätze in ihren Charakteren und ihrem Handeln. Aber sie sagen es sich nicht. Nicht wirklich. Diese Gegensätze sind tragendes Leitmotiv. Und weil ein wichtiger Gegensatz unausgesprochen bleibt, ist er es, der in die Katastrophe führt. Wie in keinem mir bisher bekannten Roman entlarvt McEwan die Wesentlichkeiten des Zwischenmenschlichen. Banal ist das Vorspielen von standesgemäßen Nuancen des Präsentierens der eigenen Herkunft. Noch banaler das überpotente männliche Gebaren, dass oft nichts mit Erfahrung, nichts mit wirklicher Männlichkeit zu tun hat. McEwan weiß das. Seine Protagonisten wissen das. Liebende sind immer an einem Neuanfang - alles, was war, greift ein in die Gegenwart und hat seinen Wert doch nur als unwirklicher Schein. Beide machen sich Vorwürfe, beiden fehlen die entscheidenden Komponenten, die nichts mit Trieb, Schönheit oder Erwartungen zu tun haben. Florence ist als Kind von ihrem Vater missbraucht worden. Edward, ihr Ehemann, arbeitet jetzt in der Firma von ihrem Vater. Er ahnt nicht, was in ihr vorgeht. Als es in der Hochzeitsnacht zu einem ersten intimen Kontakt kommt, flüchtet Florence an den Strand vor dem Hotel. Dort kommt es zur entscheidenden Aussprache. Florence ist nicht in der Lage, sich Edward zu offenbaren. Und er nimmt eine plumpe Aussage von ihr hin und wirft sich Jahrzehnte später vor, nicht genügend Geduld aufgebracht zu haben.

 „Sie kannten sich kaum und konnten sich auch nicht kennenlernen, weil ständiges höfliches Verschweigen ihre Unterschiede zudeckte und sie nicht nur aneinander fesselte, sondern auch zugleich füreinander blind machte.“ 

In der Geschichte steckt eine tiefe Tragik. Sie ist nachvollziehbar. Man ahnt ihren Verlauf. Und der Leser stellt sich die Fragen: warum so wenig Geduld, Edward? Warum so wenig Vertrauen, Florence? Und genauso sicher, wie dies die richtigen Fragen sind, genauso sicher ist es, dass sich die beiden Liebenden diese Fragen niemals stellen.