23. Februar 2016

Wer wenn nicht wir

In meiner nächsten Rezension zu meinen aktuellen Recherchen geht es um den Film “Wer wenn nicht wir” von Andreas Veiel und das ihm zugrundeliegende Buch des Autors Gerd Koenen. Der Titel des Buches könnte auch Untertitel des Films sein. „Urszenen des deutschen Terrorismus“.

WerWennNichtWirMich hat an Buch und Film die Übergangszeit zwischen den Studentenunruhen und der Radikalisierung einiger, weniger interessiert. Wie konnte aus einem Protest eine Gewalt entstehen, die in ihrem Ergebnis letztendlich das verkörpert, was sie selbst einst als Rechtfertigung in Reflexion auf die Vätergeneration abgelehnt hat? Dieses Buch und diese Verstrickungen zeigen diesen Zusammenhang wie kaum eine andere Geschichte.

Bernward Vesper, Sohn des Nazidichters Will Vesper, will sich von seinem Vater und seinem strengen Elternhaus distanzieren, gleichzeitig aber den Erwartungen des erfolgreichen Vaters gerecht werden. Er wird Verleger, legt die Werke seines Vaters neu auf und muss erkennen, dass dies eine Bankrotterklärung für den Umgang mit der Nazivergangenheit darstellt. Bankrott, im wahrsten Sinne des Wortes. Er kann kaum den Lebensunterhalt für sich und seine Freundin, der Pfarrerstochter Gudrun Ensslin bezahlen.

Dann eskalieren die Proteste der Studenten. Neben seiner Unfähigkeit zur Treue bekommt die Selbstfindung seiner Freundin ganz andere Dimensionen. Statt immer nur zu quatschen will sie handeln. Da trifft sie am Tag nach den Schüssen auf Benno Ohnesorg einen jungen Mann, einen Dandy, der ähnliche Ansichten hat und lieber handelt, statt zu reden: Andreas Baader.

UrszenenBernward Vesper, der in sich gebündelt den inneren Konflikt austrägt, wie er sich abstrahiert in der ganzen Gesellschaft zu derselben Zeit ereignet, hat keine Chance mehr. Weder als Mann, noch als Verleger, noch als Revolutionär. Selbst als Vater fühlt er sich ungeeignet. Seine innere Kapitulation dokumentiert er in dem Buch „Die Reise“, das später, lange nach seinem Tod, als die Blaupause der inneren Konflikte einer ganzen Generation angesehen wird.

Buch und Film schaffen genau das, was man sich als recherchierender Autor zu diesem Thema wünscht. Es verwandelt das theoretische Verständnis einer widersprüchlichen Zeit in konkretes Empfinden um. Die Freizügigkeit dieser Zeit war keine Freizügigkeit im Sinne einer Selbstfindung. Sie war vielmehr Ausdruck von innerer Ratlosigkeit – etwas, das einem Nachgeborenen gar nicht in den Sinn kommt.

Die Ironie an dieser Geschichte ist schier unglaublich. Ohne einen Bernward Vesper hätte eine Gudrun Ensslin vermutlich niemals die Nähe der Menschen gesucht und gefunden, die schließlich zu ihrem persönlichen Schicksal wurden. Die Tatsache, dass der Sohn eines großdeutschen Nazidichters die Vergangenheit reflektieren kann, wie er will – sein Lebensentwurf ist immer zum Scheitern verurteilt – gab für sie den einzigen Weg preis, den sie gehen konnte.

Buch und Film sind ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis der 68er.

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