9. November 2015

Auf meiner Insel 47

Mir folgen die Raben

Wenn ich zu Hause an meinem Schreibtisch sitze und das Rollo des Fensters, neben dem ich sitze nach oben ziehe, dann schau ich auf das Haus gegenüber. Das Dach dieses Hauses hat eine alte Fernsehantenne. Auf dieser Antenne und auf dem Giebel des Schornsteins direkt daneben, sitzen nicht selten zwei Raben. Sie schauen auf den Dorfpoeten, der dort sitzt, denkt, schreibt und sich in den Blick der Raben hineindenkt. Sie schauen hinein in das Fenster.

DieRaben

Warum eignen sich die Raben so vorzüglich als Boten von Gedanken? Warum sind die Raben in der Mythologie die wohl interessantesten Vögel? Es sind intelligente Tiere, die gut auf sich aufmerksam machen können. Es sind Tiere, die ich bemerke.

Wenn ich meinem geistigen Refugium bin, dort auf den Balkon gehe, endlose Kilometer in die Ferne blicken kann, hier auf meiner Insel, dann sitzen dort auf dem Giebel des Daches des Hauses unter mir zwei Raben. Während der Dorfpoet, verweilend auf seiner Insel, aus seinem Fenster schaut, sieht er sie irgendwo.

Die Raben sind mir anscheinend gefolgt. Von dem Dach, auf dass der Dorfpoet in seinem Zuhause schaut, hier auf das Dach in seinem Refugium. Die Raben sind austauschbare Metaphern oder gar Boten. Wie die Gesellen Blumfelds, wie die Bälle, die ihn begleiten - nur nicht so aufdringlich, nur nicht so grotesk. Und auch gar nicht so düster oder unheimlich.

Sie sind das Gold der Medaillie mit zwei Seiten. Sie sind das „Y“ und das „N“ in Yin und Yang. Sie sind im Federkleid verwunschenes Engelchen und Teufelchen - sie sind eben nicht nur schwarz, sondern in ihrem Federkleid sind graue Federn. So, wie ich nicht weiß, welcher Rabe, welche Facette eben in diesem Moment verkörpert, so fehlt mir manchmal die Erinnerung, dass die Welt nicht nur schwarz und weiß ist.

Draußen stürmt und regnet es und mein Gemüt ist sonnig.

In wenigen Tagen muss ich mein Refugium aufgeben doch ich denke an den Tag, an dem ich wiederkomme.
Draußen sind zwei Raben. Immer. Denn mir folgen die Raben. Denn in mir steckt die Fantasie, die jedes S/W-Denken verbietet. Wäre dem nicht so, dann wäre es nur ein Rabe, der mich verfolgt. Wäre dem nicht so, dann würde ich in einem Raben nichts weiteres sehen, als einen großen, lauten, schwarzen Vogel.

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