11. Februar 2014

Das große Ganze - Im Einklang mit dem Gottesteilchen

Die Philosophie und die theoretische Physik haben mehr gemeinsam, als die Vertreter beider wahrhaben wollen. Hat das Gottesteilchen das Potenzial, die Widersprüche zwischen Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften aufzuheben?
 
Von Peter Killert.
 
Die rationalen Denker, die Naturwissenschaftler - sie haben eine bittere Niederlage hinnehmen müssen. Der vielleicht größte Physiker unserer Zeit, Stephen W. Hawking etwa, hatte gegen die Existenz des sogenannten »Gottesteilchens« gewettet. Damit lag er falsch. Und das ist beinahe so, als läge jetzt ein Schatten auf dem großen Ganzen. Es ist wie ein Angriff auf das Dogma der Logik, welches den Naturwissenschaften innewohnt. Sind es jetzt vielleicht die Geisteswissenschaften, allen voran die Philosophie, die eine Renaissance erfahren? 
 
Die Philosophie hat zu Beginn der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts eine Pause eingelegt. Das hat zum einen etwas mit den historischen Entwicklungen zu tun, andererseits mit dem Siegeszug der Psychologie als maßgebliche Geisteswissenschaft des 20. Jahrhunderts. Man kann sogar sagen, dass ohne die tiefe Verankerung des Individuums im geisteswissenschaftlichen Denken, die einzige große philosophische Strömung zu dieser Zeit - die Existenzphilosophie und seine Sonderform des französischen Existentialismus - gar nicht denkbar gewesen wäre. Heidegger, Sartre und Camus müssen Sigmund Freud also dankbar sein. Wittgenstein oder Hilary Putnam hingegen scheinen nur Phänomene zu sein, außerhalb eines Kontextes, der für einige Jahrzehnte seinen roten Faden verloren hatte. 
 
Ansätze zur tiefen Verbindung zwischen Naturwissenschaften und Philosophie gab es schon immer. Immanuel Kant selbst ist die Verkörperung des Einklangs von Physik und Metaphysik. Seine ersten Schriften haben ausschließlich die Naturwissenschaften zum Thema - es ist alles andere als ein Zufall, dass Kant seine Verstandeskategorien zu Beginn der »Kritik der Reinen Vernunft« aus Raum und Zeit ableitet und sie als Bausteine a priori seiner Elementarlehre zur Erkenntnisfähigkeit des Menschen definiert. 
 
Aber die Pause der Philosophie ist wahrhaftig vorbei. Die Philosophie blickt nicht mehr nur auf das Individuum, sondern wieder auf das große Ganze. Die Menschen erkennen, nicht erst seit Edward Snowden, dass die Folgen der tiefen Individualisierung mit Egoismus, Werteverfall und Komplexität einhergehen. Komplexität ist dabei vielleicht am wichtigsten, denn der Wunsch nach ihrer Auflösung ist nicht nur individuell, er ist konsensfähig. Diese Welt giert nach Transparenz und nach Wahrhaftigkeit. Die Welt will die Berechenbarkeit der Naturwissenschaft auf das Miteinander, auf die Geisteswissenschaften übertragen. Nur so wird es Ideen und normative Ansprüchen geben können, die die Welt ordnen. So wie Naturgesetze und die Mathematik die Natur selbst ordnen.
 
Der Bestseller, »Warum es die Welt nicht gibt« des Bonner Philosophieprofessors Markus Gabriel ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Philosophie wieder erwacht ist. Sein Buch ist nichts anderes als eine Transkription von Wittgensteins »Tractatus«. Wittgenstein hat nach einem sprachlichen Instrumentarium gesucht, um Erkenntnis zu beschreiben. Eine Art Mathematik der Abstraktion. Dieser Ansatz ist bis heute nicht zu Ende gedacht worden. Dieser Bestseller ist ein Statement, es ist ein Pamphlet dessen, was Philosophen »Dualismus« nennen.
 
Der sogenannte Eigenschafts-Dualismus ist die Annahme, dass es neben einem rational erklärbaren Teil der Welt auch einen metaphysischen Teil gibt, der nicht mit der Logik der Mathematik beschrieben werden kann. Ein einfaches Beispiel ist die Frage »Warum gibt es Schmerzen?« : Ein Naturwissenschaftler, insbesondere ein Neurologe, würde hier eine lückenlose Erklärung abliefern - vom Auslöser des Schmerzes hin zu den Regionen des Hirns, den Botenstoffen, ja vielleicht lässt sich sogar ein biologischer Zweck des Schmerzes an sich erklären. Aber das ist keine hinreichende Antwort für den Dualisten. Er wird hinter die Antwort blicken wollen. Damit die Welt funktioniert, muss es keine Schmerzen geben. Ein krankes Tier könnte sich vom Löwenrudel auch einfach so fressen lassen. Ein Mensch könnte auch ohne Schmerzen ein halbes Jahr im Bett liegen und sterben. Es fehlt der metaphysische Sinn. So scheint es.
 
Eine zu strikte Trennung zwischen Körper und Geist - wie etwa bei Leibniz - kann jedoch einen tiefen Trugschluss in sich bergen. Der Körper ist diesseits, der Geist jenseits, gekoppelt an höhere Mächte. Dieses Denken öffnet die Horizonte für das, was nicht mehr logisch ist. Anstelle des Dogmas der Logik tritt das Dogma des Glaubens oder der esoterischen Einfältigkeit. Irrationale Schlussfolgerungen die in Denkweisen wie dem Kreationismus, bei dem tiefgläubige Menschen jegliche Form naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ablehnen, gewinnen womöglich die Oberhand. Metaphysik aber ist kein Ersatz für Religion oder gar ihr Gegenstück. Die Metaphysik nutzt ebenso wie die Naturwissenschaften ausschließlich die Logik als Methode. Alles andere ist nur Geschwätz. Wo also sind nun die Verbindungen zwischen den Naturwissenschaftlern und den Metaphysikern?
 
Die Verbindung liegt im Gottesteilchen. In dem, was Masse verleiht. Leibniz ging in seinem Weltbild - also bereits vor über vierhundert Jahren - von der Existenz eines solchen Teilchens aus. Allerdings mit einem metaphysischen Ansatz. Er nannte es »Monade« und es war dasjenige Element, dass einem Objekt seine Form gab. Denn schaut man in den Kosmos der Elementarteilchen, dann gibt es keine Abgrenzungen zwischen diesen Teilchen. Es gibt nur die Elementarteilchen. Es gibt nichts, was einen bestimmten Gegenstand zu diesem Gegenstand macht. Es kann ein einfacher Stein sein, der auf dem Schreibtisch liegt. Mit einem Brief wird er zu einem Briefbeschwerer. Es braucht also etwas, was dem Gegenstand eine Form verleiht. In der Physik, im sogenannten »Higgs-Feld« ist es dieses »Gottesteilchen«, welches einem Gegenstand die Masse verleiht. In der Metaphysik bei Leibniz ist es die Monade, der Stempel, die Signatur, die a priori dem Gegenstand anhaftet. Ein Begriff, der sich auch in der Informatik und der Mathematik durchgesetzt hat. Monaden sind die Träger von Substanz oder es sind abstrakte Datentypen. Wie klein ist doch der Brückenschlag dieser vorhandenen Definitionen zu einer Materialisierung dieses theoretischen Konstrukts? Ist der Träger von Substanz nicht genau das, was Masse verleiht? Und die Wortspiele liegen so nahe! So kann man dem »Gottesteilchen« das Gewicht verleihen und es in Einklang von Physik und Metaphysik setzen.
 
Und was kann so eine Erkenntnis anderes sein, als eine Herausforderung an die betroffenen Wissenschaftler? Wo bleiben die Abhandlungen, die Leibniz und Higgs, Kant und Einstein, Wittgenstein und Hawking in Einklang bringen? Im Einklang mit dem »Gottesteilchen«. Schon in seinem Namen versucht es, Metaphysisches mit purer Logik zu verbinden. Und überhaupt, wann und warum ist dieser Einklang überhaupt verloren gegangen? Werden da nicht Widersprüche konstruiert, die es gar nicht geben sollte? Warum sollte es keine rationale Erklärung für Gott geben? Warum nicht eine ebenso rationale für den puren Zufall? Man muss gar nicht alles neu denken. Alle wichtigen Fragen der Philosophie sind bereits gestellt. Die Antworten finden sich vielleicht, wenn diese Fragen des Geistes mit der richtigen Mathematik gestellt werden und die Fragen der Mathematik mit der Logik der Metaphysik beantwortet werden.